IKAD Hochstapler im Hörsaal
Mon, 6. Jun 2005

DER VORTRAG, den Myron L. Fox vor den versammelten Experten hielt, trug den eindrucksvollen Titel „Die Anwendung der mathematischen Spieltheorie in der Ausbildung von Ärzten". Die Verantwortlichen für das Weiterbildungsprogramm der University of Southern California School of Medicine hatten sich im Sommer 1970 für ihre jährliche Konferenz nach Lake Tahoe im Norden Kaliforniens zurückgezogen. Dort hielt Fox, der als „Autorität auf dem Gebiet der Anwen- dung von Mathematik auf menschliches Verhalten" vorgestellt wurde, das erste Referat.
Er beeindruckte die Zuhörer mit seinem gewandten Auftritt derart, dass keiner von ihnen merkte: Dieser Mann war nicht nur Myron L. Fox von der Albert Einstein School of Medicine, sondern auch der Radiomann Leo Gore aus „Batman", der Anwalt Amos Fedders aus „Falcon Crest" und der Tierarzt Dr. Benson aus „Columbo", der sich um den Hund ,des Inspektors kümmert.
Myron L. Fox hiess in Wirklichkeit Michael Fox und war Schauspieler (nicht verwandt mit Michael J. Fox aus „Back to the Future"). Er hatte keine Ahnung von Spieltheorie.
Alles, was Fox getan hatte, war, aus einem Fachartikel über Spieltheorie einen Vortrag zu entwickeln, der ausschliesslich aus unklarem Gerede, erfundenen Wörtern und widersprüchlichen Feststellungen bestand, die er mit viel Humor und sinnlosen Verweisen auf andere Arbeiten vortrug. Hinter der Täuschung standen John E. Ware, Donald H. Naftulin und Frank A. Donnelly, die mit dieser Demonstration eine Diskussion über den Inhalt des Weiterbildungsprogramms initiieren wollten. Das Experiment sollte die Frage beantworten: Ist es möglich, eine Gruppe von Experten mit einer brillanten Vortragstechnik so hinters Licht zu führen, dass sie den inhaltlichen Nonsens nicht bemerken?
John Ware übte stundenlang mit dem Schauspieler, bis jede Substanz aus dem Text verschwunden war. Das Problem war, Fox davon abzuhalten, etwas Sinnvolles zu sagen. Fox war sich sicher, dass der Schwindel auffliegen würde. Doch das Publikum hing an seinen Lippen und begann nach dem einstündigen Vortrag, fleissig Fragen zu stellen, die er so virtuos nicht beantwortete, dass niemand es merkte. Auf dem Beurteilungsbogen gaben alle zehn Zuhörer an, der Vortrag habe sie zum Denken angeregt, neun fanden zudem, Fox habe das Material gut geordnet, interessant vermittelt und ausreichend er- klärende Beispiele eingebaut.

Ware und seine Kollegen zeigten zwei weiteren Gruppen eine Videoaufnahme des Vortrags - mit ähnlichem Resultat. Einer glaubte sogar, schon Fachartikel von Myron L. Fox gelesen zu haben. Das Publikum bestand auch hier nicht aus Studenten, sondern aus erfahrenen Pädagogen, die sich vom gekonnten Stil des Schauspielers blenden liessen.
Die Wissenschafter machten weitere Experimente mit einer grösseren Anzahl von Zuhörern. Die Tatsache, dass der Stil eines Vortrags über seinen dürftigen Inhalt hinwegtäuschen kann, hiess bald nur noch der „Dr.-Fox-Effekt“.

Die Resultate liessen John Ware an der Aussagekraft von Unterrichtsevaluationen zweifeln. Wenn Studenten auf Fragebogen eine Lehrveranstaltung beurteilten, zeige sich darin möglicherweise nicht viel mehr als ihre Zufriedenheit und „ihre Illusion, etwas gelernt zu haben“. – „Unterrichten besteht aus viel mehr, als nur die Studenten glücklich zu machen“, schrieben die Autoren im Artikel über das Experiment. Allerdings gab es eine Überraschung, die diesen Schluss relativiert:
Nachdem die Zuhörer über die wahre Identität von Fox aufgeklärt worden waren, erkundigten sich einige von ihnen nach weiterführender Literatur. Der Vortrag - obwohl nichtssagend und als Betrug entlarvt -hatte durch seinen Stil offenbar das Interesse am Thema geweckt. Ware schlug darauf eine innovative Methode vor, die Motivation der Studenten zu steigern: Professoren könnten, anstatt selber Vorlesungen zu halten, Schauspieler dafür trainieren.

In der ´Los Angeles Times“ schrieb daraufhin ein Journalist: „Diese Un- tersuchung hat Implikationen, die selbst ihre Autoren nicht bemerkt haben. Wenn ein Schauspieler ein besserer Lehrer ist, warum nicht auch ein besserer Parlamentarier oder sogar ein besserer Präsident?“ Sieben Jahre später wurde Ronald Reagan Präsident der Vereinigten Staaten.
Reto U. Schneider

Mitte September erschien von Reto U. Schneider im Bertelsmann-Verlag „Das Buch der verrückten Experimente“ mit über 100 Versuchen aus sieben Jahrhunderten. darunter auch die in dieser Rubrik beschriebenen.

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